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Weitere Deregulierungen im Arbeitsgesetz führen unweigerlich zu mehr Burnouts und anderen Stresserkrankungen

Zwei im Parlament hängige Vorstösse wollen den elementarsten Arbeitnehmerschutz radikal abbauen: Die Vorstösse Graber und Keller-Sutter wollen für einen bedeutenden Teil der Beschäftigten die Arbeitszeiterfassung und die Vorschriften zur Begrenzung der Arbeitszeit (Limite der wöchentlichen Höchstarbeitszeit, Nacht- und Sonntagsarbeitsverbot) eliminieren. Alle Dachverbände der Arbeitnehmenden sowie die grössten Gewerkschaften des Landes haben sich dagegen ausgesprochen. Über eine halbe Million Mitglieder stehen hinter diesem Bündnis. Auch die ArbeitsmedizinerInnen positionieren sich klar dagegen.

 

Von Dr. iur. Luca Cirigliano, Zentralsekretär Schweizerischer Gewerkschaftsbund

 

 

Das sind die Gründe für die Opposition:

  • Die Vorstösse führen neue rechtliche Begriffe ("leitende Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer", "Fachspezialisten") ein, welche im Arbeitsrecht nicht definiert sind. In Unternehmen gibt es viele Leitungsfunktionen auch in tieferen Hierarchieebenen, viele Arbeitnehmende sind sehr gut ausgebildet und Fachspezialisten. Auch Leute mit tieferen Löhnen müssten arbeiten wie ihre deutlich besser bezahlten Chefs, welche die Arbeitszeit nicht erfassen. Sie würden finanziell massiv schlechter gestellt, da mit dem Wegfall der Arbeitszeiterfassung auch die Bezahlung von Überstunden und Überzeiten verunmöglicht wird. Weil die Begriffe "leitende Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer" und "Fachspezialist" so schwammig sind, sind mehr als ein Drittel der Beschäftigten gefährdet.
  • Für Tausende von Arbeitnehmenden würden wichtige materielle Bestimmungen aus dem Arbeitsgesetz, etwa jene zur wöchentlichen Höchstarbeitszeit, zu Nachtruhe, Ruhezeit, Sonntagsarbeit, Pause und zu den Lohnzuschlägen, nicht mehr gelten. Sie würden diesen Schutz verlieren.
  • Stress ist heute nachweislich eines der grössten Probleme für die Arbeitnehmenden. Wer es sich leisten kann, arbeitet Teilzeit und versucht so, Stress zu verringern. Gerade für die Teilzeitmitarbeitenden, deren Zahl stetig steigt, ist die Arbeitszeiterfassung nötig. Sonst müssen sie immer mehr Gratisarbeit für die Unternehmen leisten.
  • Die physische Stempeluhr ist vielerorts Vergangenheit. Dank der Digitalisierung ist die Erfassung der Arbeitszeit heute jederzeit und überall sehr einfach möglich.
  • Mit der immer stärkeren digitalen Vernetzung vermischen sich die Grenzen zwischen Arbeitszeit und Freizeit. Die parlamentarischen Initiativen schmälern die für die Regeneration und das Sozialleben zentrale Zeit im Privaten. Dies führt zu Unzufriedenheit, Stress, mehr krankheitsbedingten Ausfällen und damit letztlich zu gesellschaftlichen Problemen. Die Vorstösse greifen auch das für die Schweiz wesentliche Milizsystem an (Politik, Feuerwehr, Militär, Sport, Musik etc.). Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, welche angesichts des Fachkräftemangels verbessert werden sollte, wird erst recht gefährdet.

 

Mehr Krankheitsrisiken für Arbeitnehmende

Gerade leitende Angestellte und höher qualifizierte Fachpersonen, die im Visier der Deregulierung stehen, beklagen steigenden Stress und real sinkende Arbeitszeitautonomie. Die Einführung einer faktischen 60-Stunden-Woche sowie die Möglichkeit, den Arbeitstag auf 15 Stunden auszudehnen und nur noch 9 Stunden für Schlaf und Familie vorzusehen, bedeuten ein offenes Tor für Burnout und andere Stresserkrankungen. Dies umso mehr, wenn gleichzeitig auch noch die Arbeitszeiterfassung abgeschafft werden würde. Gleichzeitig würden so Überstunden eliminiert. Das Resultat davon: mehr Krankheiten, mehr Gratisarbeit.

 

Die Schweiz hat bereits das liberalste, arbeitgeberfreundlichste Arbeitsgesetz Europas. Eine weitere Deregulierung würde die Krankheitskosten in der Schweiz explodieren lassen, insbesondere, da Burnout heute immer noch nicht als Berufskrankheit anerkannt ist.