Kann man zu gesund leben? Diese Frage stellt man sich automatisch, wenn man die beiden Begriffe «Gesundheit» und «Wahn» miteinander kombiniert.
Von der Schweizerischen Gesellschaft für Ernährung SGE
Gesundheitswahn ist ein Phänomen unserer Zeit, das seinen Ursprung jedoch weit in der Vergangenheit hat, wie uns der Ernährungspsychologe Dr. Christoph Klotter im aktuellen Report der tabula-Ausgabe (2-2018) erklärt. Dabei beschäftigt man sich verstärkt mit seiner Ernährung und schafft sich seine eigene radikale Diät, die immer rigider werden kann. Man versucht, die Mitmenschen von seinen Ernährungsansichten zu überzeugen, isoliert sich in der Folge im sozialen Bereich, was das psychische Wohlbefinden stark beeinträchtigt.
Die Verwissenschaftlichung des Essens, die vor rund 200 Jahren begonnen hat, trug massgeblich zur Bildung des Gesundheitswahns bei.
Was kann gemäss Klotter dagegen getan werden?
- Wir müssen wissen, dass der Körper zur Erlösung nicht taugt. Der Körper bleibt Körper. Wir können uns in ihm wohl fühlen. Aber potenzielle Erlösung kann er nicht bieten.
- Der Mensch, und somit auch unser Essverhalten, sind widersprüchlich. Wir finden den hohen durchschnittlichen Fleischkonsum in Europa fatal und gehen dennoch zuweilen in einen Hamburgerladen. So wäre das Ziel beim Essen nicht die Konsequenz, sondern die Akzeptanz einer gewissen Inkonsequenz. Die Apokalypse findet nicht statt, wenn ich einmal in der Woche Fleisch esse.
- Nicht Perfektionismus soll unser Essverhalten leiten, sondern Gelassenheit und Toleranz. Der menschliche Körper ist erstaunlich in dem, was er alles aushält.
- Das Leben ist riskant. Und zu Anteilen können wir darüber entscheiden, welche Risiken wir eingehen. Dann rauchen wir beim Ausgehen Zigaretten und trinken auch noch über den Durst. Die Schokolade kann so gut schmecken, dass wir es ab und zu fertigbringen, eine ganze Tafel zu essen.
- Zu Verboten gehört, dass sie auch notwendig und unausweichlich überschritten werden. Daher müssen wir wegen Überschreitungen kein schlechtes Gewissen bekommen und uns verdammen. Wir wissen, sie gehören zum Leben dazu.
- Nicht Verbote und Zwänge beherrschen unser Essen, sondern Erkundung und Neugierde. Wir nehmen uns Zeit für eine lustvolle Ernährungskompetenz.
- Essen ist der prototypische soziale Akt. Beim Essen treffen sich Freunde, Familie oder Geschäftspartnerinnen, um Zugehörigkeit zu demonstrieren und zu erleben. Der einsame Esser wird psychisch nicht satt und tendiert eher zu einem zwanghaften Kostregime als diejenigen Menschen, die Essen zusammen erfahren.
Mehr zum Thema Gesundheitswahn in der aktuellen Ausgabe von tabula. Erhältlich ab Mitte Juli unter http://www.sge-ssn.ch/ausgaben/.